Franziska – Wie eine Myokarditis alles veränderte

Für mich fühlt es sich heute an, als hätte ich zwei Leben - quasi ein „davor“ und ein „danach“. Getrennt sind diese Leben nicht nur durch die Organspende, sondern auch durch eine wichtige und bewusste Entscheidung.

Eine braunhaarige Frau mit Brille formt ein Herz mit ihren Händen.

Mein erstes Leben endete 2019 im Alter von 37 Jahren. Es war eine Zeit, in der ich überzeugt davon war, dass mir alle Türen offenstehen und meine Gesundheit nie ein Problem dar­stellen würde. Ich arbeitete in Vollzeit in der kardio­logischen Forschung der Berliner Charité und als Personal­leitung einer großen Praxis. Ich empfand mich als Leistungs­trägerin und definierte mich darüber.

Heute denke ich mit Wohl­wollen und großer Dankbarkeit an diese Zeit zurück. In Anbetracht der Geschehnisse ab Dezember 2019 bin ich sogar sehr stolz auf das, was ich in meinem „ersten Leben“ erreicht habe – ganz besonders stolz bin ich dabei auf meine Tochter. Mutter zu sein war und ist eine große Kraft­quelle für mich.

Heute, in meinem „zweiten Leben“, weiß ich: Auch schwere Schicksals­schläge können uns helfen, uns weiterzuentwickeln und uns stärken. Nicht nur physisch, sondern auch mental. Dabei trotzdem die nötige Geduld aufzu­bringen und durch­zuhalten ist natürlich nicht einfach. Niemand kann das so gut verstehen wie ebenso Betroffene, Menschen, die wie ich einen Kampf gegen eine vermeintlich über­mächtige Erkrankung geführt haben oder ihn noch führen.

Meine Erkrankung

Meine Krankheits­geschichte beginnt am 1. Dezember 2019 mit einer vermeintlich normalen Erkältung. Aber von den Worten „Ich bin erkältet, wie ärgerlich“ zu „Du musst mich ins Kranken­haus fahren“, die ich zu meinem Mann und meiner 8-jährigen Tochter sagte, vergingen nur 15 Tage.

Es ging alles so schnell: Meine Kraft war plötzlich weg. Ich konnte kaum mehr laufen, bekam selbst in Ruhe kaum Luft, ich war kalt­schweißig und völlig weiß im Gesicht, mir war übel und der Ober­bauch schmerzte. Langsam bekam ich Angst – ich kannte mich so nicht. Ich war nicht vor­erkrankt und immer top fit gewesen. Also brachten mein Mann und meine Tochter mich am 3. Advent ins Kranken­haus. Dort angekommen wurden in kürzester Zeit die Nachrichten der Ärzte immer schlimmer und die medizinischen Ereignisse immer drama­tischer. Ich spürte, wie mir das Leben förmlich zwischen den Finger zerrann. Als mein Herz am Folge­tag fast versagt hätte und der Arzt meinen Mann am Telefon über meinen Zustand informierte, war ich außer­stande ihm zu folgen, so geschockt war ich von allem.

Mir wurde eine schwere Form der Herzmuskel­entzündung, die hoch­gradig auto­immun war, eine sogenannte eosino­phile Myokarditis, diagnostiziert. Das bedeutet, dass körper­eigene Abwehr­zellen den Herz­muskel angreifen, mit der Folge, dass das Gewebe vernarbt. Diese Vernarbungen waren wiederum die Ursache für schwere Herzrhythmus­störungen.

Die nächsten 3 Monate verbrachte ich im Kranken­haus, angeschlossen an viel Technik, die mich am Leben hielt, wie z.B. eine kleine Herz­pumpe. Als ich schließlich wieder nach Hause kam, tat ich das als eine schwerst­kranke, tief verängstigte und traumatisierte Frau. Mittler­weile trug ich zwar die Herz­pumpe nicht mehr, dafür aber einen implantierten Defibrillator, weil ich bedrohliche Herzrhythmus­störungen entwickelt hatte. Treppen­steigen, putzen – nichts ging mehr. Mich belastet das alles so sehr. Nicht nur einmal wollte ich einen Blick in die berühmte Glaskugel werfen und sie fragen, wann ich wieder gesund sein würde.

Ich war am Boden zerstört und meine Familie mit mir. Es folgten Therapien, viele Krankenhaus­aufenthalte, Notfälle und viele Tränen. Das Thema Tod lag auf dem Tisch. Meine Tochter traute sich nicht mehr allein mit mir zu sein, verband sich mehr mit ihrem sicheren Anker, ihrem Papa. Zu groß war die Angst das Mama einfach umfällt und stirbt – unwahrscheinlich war das leider nicht.

Die Warte­zeit

Meine Herz­schwäche wurde immer schlimmer und die Herzrhythmus­störungen auch. Im Sommer 2020 wurde ich auf die Warte­liste für eine Herz­transplantation gesetzt. Es kam alles zusammen: Ein schwaches Herz und ein schwacher Körper, dazu viele Medikamente, die mich aufschwemmen ließen und schließlich auch noch Haar­ausfall durch den psychischen Schock.

Aber nicht alles war schlecht. Mein Mann und ich heirateten und hatten einen wunderschönen Tag, auch wenn ich mir diesen natürlich immer anders vor­gestellt hatte. Aber ich habe erkannt, dass ich mehr bin als meine Krankheit. Dass ich für meine Familie, Freunde und besonders für mich selbst wert­voll bin und dass ich mich nicht in mein Schicksal ergeben muss.

Ich glaubte an mich und mein Herz, das noch nicht besiegt war durch die Krankheit. Ich entwickelte eine starke Resilienz, weil ich entschieden habe, dass mein Glas halb­voll war. Dass ich ein Teil meiner Chance auf das Leben sein werde, das ich mir für mich wünsche. Mit­reden wollte ich und so tat ich es auch. Das „darüber erzählen“ war für mich wichtig, sowohl bei Freunden und meiner Familie als auch öffentlich, z.B. auf meinem Instagram­kanal „@franzis_herzkraftwerk“.

Im September sowie Dezember 2021 bekam ich derart schlimme Herzrhythmus­störungen, dass selbst mein implantierter Defibrillator nicht mehr half. Mein Mann musste mich lange reanimieren, während meine Tochter im Neben­raum von ihrer Oma getröstet wurde. Erst im Kranken­haus realisierte ich, was geschehen war: Ich war beide Male klinisch tot gewesen. Trotz aller Angst, die ich vor dem Sterben hatte – in diesem Moment war sie weg: „Sterben tut nicht weh“. Aber – ich wollte nicht sterben. Nicht mit 39 Jahren!

Danach wurde ich hoch­dringlich für ein neues Herz gelistet und wartete 66 Tage im Kranken­haus. Das war eine gute Zeit: Ich fühlte mich im Kranken­haus sicher und war sogar mit anderen Warte­patienten zusammen. Langsam nahm ich Abschied von meinem kranken Herzen, obwohl es mir schwer­fiel, mir vorzu­stellen, dass mein Kämpfer­herz dann weg sein würde. Trotzdem war ich immer voller Dank­barkeit und Vertrauen, ich wusste einfach, was immer auf mich zukommt, ich schaffe auch das. Verlust und Gewinn ganz nah beieinander. Eine Situation und ein Gefühl so unglaublich wie die Weiten des Universums.

Die Transplantation

Dann war es so weit: „Wir haben ein Organ­angebot für Sie“, bekam ich am 14.03.2022 auf dem Flur von meinem Pfleger erklärt.

Das klang so abstrakt, ich hatte kaum Zeit mein Gedanken­chaos zu ordnen, als es schon weiter­ging im Programm. Ich befand mich zwischen Freude, Angst, Verlust, Dank­barkeit und gleichzeitiger Trauer für meine*n Spender*in. Bis heute frage ich mich wie ich all diese Gefühle gleich­zeitig fühlen konnte. Ich hatte nur einen Gedanken: „Jetzt geschieht es“.

Hatte ich Angst, als es los­ging? Nein. Meine Entscheidung, an mich zu glauben, stand fest. Ich hatte schon so viel durch­gemacht. Sollte ich jetzt sterben, dann hatte ich trotzdem nie aufgegeben. Wie sagt man so schön: „That´s life“. Ich sagte meiner Familie per Video­call „Bis bald und ich liebe euch.“

Und dann ging es auch schon los…

Alles lief gut. Nach der OP wurde ich schnell extubiert und spürte seit 2 Jahren und 3 Monaten das erste Mal wieder einen starken, schnellen, aber gleichmäßigen Herzschlag. Eine innere Stärke, die mich wirklich über­wältigte – das Wunder der Organ­spende. Und so schwer auch die kommenden Wochen waren, ich war erfüllt von diesem Gefühl, das alles gut wird.

So kämpfte ich mich durch die Schmerzen, Übelkeit und Schlaf­probleme. Ich arbeitete mich durch Bewegungs- und Atemtherapien, nahm viele Medikamente und ging zu jeder Menge Unter­suchungen. Step by step ging es von „Ich werde sie jetzt waschen“ zu „Tschüss. Jetzt gehe ich selbst­ständig in die Reha Klinik“. Ein berauschendes Gefühl. Und auch in diesen Momenten war mir immer klar, dass ich selbst der Schlüssel zu einem guten Leben bin.

Heute ist der 14. März ein Trauer­tag für mich an dem ich dem oder der unbekannten Spender*in gedenke. Dazu gehe ich an das DANKmal für Organspender*innen in Berlin. Der Tag meiner HTx, der 15. März, ist für mich mein 2. Geburtstag geworden.

Transplantiert zu sein, bedeutet auch erstmal viel Arbeit. Vieles muss man neu lernen und definieren: Ernährung, Medikamente und Hygiene, Partner­schaft und der Umgang mit Kindern. Viele Empfehlungen werden ausgesprochen, die sich wie Regeln und Verbote anfühlen. Mich hat das sehr gestresst.

Ich kann nur empfehlen, sich beraten zu lassen und Hilfs­angebote zu nutzen. Auch für sozialrechtliche Fragen, wie z.B.: Steht mir eine Haushalts­hilfe zu oder eine Pflege­stufe? Ich war zu diesem Zeit­punkt zum Glück schon EU berentet und sehr gut informiert. Ich kannte mich mit den Medikamenten aus und mein medizinischer Beruf hat mir sehr geholfen.

Nach Hause kommen

9 Wochen nach meiner Herz­transplantation und 5 Monate nachdem ich ins Warte­krankenhaus kam, ging es endlich wieder nach Hause. Die 2 Stock­werke in unsere Wohnung waren immer noch eine große, muskuläre Heraus­forderung, aber ich gab nicht auf und schließlich war ich oben – ohne Herzrhythmus­störungen! Das war unglaublich schön.

Als Familie wieder zusammen­zufinden war nicht so einfach. Das Vertrauen in die Leichtig­keit des Lebens war weg und sie kommt auch nicht so einfach wieder. Muss sie auch nicht, sollte sie vielleicht auch nicht. Denn das Leben nach solch einem Erlebnis ist anders. Narben sind nicht nur auf meinem Ober­körper sichtbar und schon gar nicht nur bei mir allein. Betroffen von einer schweren Krankheit, der ungewissen Warte­zeit und letztendlich der Transplantation sind immer auch die Menschen, die einem am nächsten sind. Meine Tochter wurde kurz nach meiner Transplantation 11 Jahre alt. Sie musste schneller erwachsen werden und leider an den Grundsätzlichsten zweifeln was (die meisten) Kinder geschenkt bekommen: Dem Bild des/der ersten Helden bzw. Heldin im Leben. Den Eltern. Aber wir fanden wieder zusammen. Wie immer sprachen wir dabei sehr offen über alles.

Es vergingen Monate, in denen ich gelernt habe, mit meinem neuen Herzen und mit meiner Familie umzugehen. Die neue, fragile Sicherheit wuchs wie eine zarte Blume an einem, sonnigen Tag. Ich war beschäftig körperlich „fit“ zu werden, selbstsicher in die Zukunft zu blicken und meine neuen Bau­stellen zu versorgen. Mein Mann kämpfte aufgrund der Geschehnisse mit Panik­attacken und gemeinsam fanden wir unseren Weg auch durch diese Herausforderung.

„Es geht mir gut“, auszu­sprechen fiel mir dennoch nicht immer leicht, besonders im Außen. Die meisten Menschen verbinden eine positive Optik schnell mit Sorglosigkeit und vergessen, wie es innen aussehen kann. Nur weil ich wieder fit aussehe, sagt das nichts darüber aus, wie es mir geht. Viele denken auch, ein neues Herz sei wie der Motor eines Autos. Nach dem Austausch geht der wie früher oder besser. So ist es aber nicht. Medikamente, medizinische Kontrollen, Ängste und manchmal auch Schmerzen gehören dazu. Aber: ich darf leben, und zwar so viel besser als ich es erhofft habe. Und das verdanke ich mein Vertrauen und meinem Glauben an die Medizin, die Medikamente und auch mich selbst.

Und deswegen möchte ich auch nicht vergessen oder verdrängen, was ich erlebt habe. Ich will nie vergessen was ich geleistet habe und aus welchen dunklen, fast tödlichen Bereichen mein Körper und mein Geist sich gekämpft haben.

Meine Tochter ist jetzt 13 Jahre alt und ist ein ganz normaler Teenager, mein Mann hat seine psychischen Belastungen im Griff und ich glaube mehr denn je an die Zukunft, die Innovation und Forschung.

All diese Erfahrungen haben mich zu einem neuen Menschen werden lassen, dem jetzt andere Dinge wichtiger sind als früher. Ich möchte etwas zurück­geben, und setze mich daher als Vorstands­mitglied bei transplantiert e.V. für andere Wartepatient*innen, Organ­transplantierte und die Förderung der Organ­spende grundsätzlich ein.