„Sicher lebe ich mit einigen Einschränkungen, aber ich lebe."
24. Oktober 2007.
Das war ein Mittwoch. Zwei Monate vor Weihnachten. Ich war 33 Jahre alt und feiere seit diesem Tag zwei Mal im Jahr Geburtstag.
7 ½ Jahre zuvor wurde während meiner Schwangerschaft eine Zyste an meiner Leber gefunden, aber das sei „nicht so schlimm“. So etwas habe „fast jeder und es besteht kein Grund zur Sorge“. Im Sommer kam unser Sohn zur Welt. Unser erster. Es sollten noch ein oder zwei Geschwister folgen. Aber es kam – wie so oft im Leben – anders als geplant. Aus einer Zyste auf der Leber wurden mehrere. Es kamen welche auf den Nieren hinzu. Es dauerte keine drei Jahre, da bekam ich meine Hose nicht mehr zu. Leider war es kein Schwangerschaftsbauch, der daran Schuld war. Eine genetische Untersuchung brachte Klarheit: autosomal dominante polyzystische Leber- und Nierendegeneration. Es folgte ein Ärztemarathon. Was mich jedoch am meisten beschäftigte, war nicht meine Gesundheit (zu diesem Zeitpunkt verweigerte ich jeden Gedanken daran, krank zu sein). Was mir den Schlaf raubte, war die Frage: „Habe ich diese Erkrankung meinem Sohn vererbt?“
Die nächste persönliche Katastrophe war der Verlust meiner Arbeit. Ich habe meinen Beruf sehr gerne gemacht, aber in den Augen meines Arbeitgebers war ich arbeitsunfähig, obwohl ich zu dem Zeitpunkt noch keinen Tag gefehlt hatte. Immer wieder stand das Thema Transplantation im Raum, aber ich weigerte mich zu akzeptieren, dass es keine anderen Therapiemöglichkeiten geben sollte. Die Erkrankung manifestierte sich bei mir (und auch bei meinem Bruder) in einer monströs vergrößerten Leber. Ich sah weder meine Füße, noch konnte ich normale Sachen anziehen. Nur Gummizughosen und übergroße Pullover oder Shirts. Ich fühlte mich wie im 12. Monat mit Zwillingen schwanger. Und jeder andere dachte das auch. Das machte mich oft wütend und ließ mich verzweifeln. Durch die Zysten verlagerten sich meine Organe. Zysten punktieren half nicht. Ich konnte kaum noch essen. Meine Lunge wurde zusammengedrückt, ich bekam nur schwer Luft, war ständig erschöpft und kraftlos.
Bei all dem stand mir mein Mann zur Seite. Er unterstützte mich, hielt zu mir und motivierte mich, nicht aufzugeben. Im Herbst 2005 kam ich um die Listung zur Transplantation nicht mehr herum.
Die Zeit verging. Unser Sohn ging inzwischen in die 2. Klasse. Er war gesund, munter und neugierig. Aber wie bringt man einem 7-Jährigen bei, dass die Möglichkeit besteht, dass seine Mama eines Tages nicht mehr nach Hause kommt? Wie sagt man ihm das? Das war meine größte Herausforderung. Als ich am Abend des 23. Oktober 2007 den Anruf erhielt, ging ich in sein Zimmer, weckte ihn und wir hielten uns in den Armen. Er wusste, ich hatte keine Wahl und ich wusste es auch. Mein Mann fuhr mich die 80 km ins Transplantationszentrum und die ganze Zeit hielten wir uns an den Händen. Gesprochen haben wir nicht viel. Wir kannten die Risiken. Wir verbrachten die letzten Stunden gemeinsam, ehe ich in den OP geschoben wurde. Es war der 24. Oktober 2007, gegen 8 Uhr morgens. Mein Mann fuhr nach Haus zu unserem Sohn und meinen Eltern.
9 ½ Stunden später weckte mich mein Anästhesist noch im Operationssaal wieder auf, so wie er es mir versprochen hatte. Gegen 22 Uhr war ich so weit klar, dass mir die Intensivschwester das Telefon reichte und ich zu Hause anrief. Als mein Mann die Nummer der Klinik erkannte, war seine Stimme so ängstlich. „Schatz, ich sehe meine Füße und habe eine Hüfte.“ Das waren die Worte, die ich unter Tränen zu ihm sagte, dann konnten wir uns nur noch freuen.
Es ging weiter bergauf. Mein Mann kam mit meinem Sohn zu Besuch. Umarmen konnte er mich nicht, also hielt er ganz vorsichtig meine Hand und streichelte sie. „Mama, ich bin so stolz auf dich!“ Dieser Satz war wie Raketentreibstoff für mich. Mit der Physiotherapie fing ich an zu üben und genau drei Wochen nach der Lebertransplantation wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen. Das war vor mittlerweile elf Jahren. Es geht mir gut und ich bin glücklich. Sicher lebe ich mit einigen Einschränkungen, aber ich lebe. Das war und ist es wert.
Das Organ, das ich an diesem Tag zwei Monate vor Weihnachten geschenkt bekommen habe, ist meins. Dafür bin ich dankbar. Dankbar auch dafür, dass sich jemand mit dem Thema Organspende auseinandergesetzt hat. Dankbar für die Entscheidung, einen Organspendeausweis bei sich zu haben. Dankbar für die Entscheidung der Familie, den Wunsch des Spenders zu akzeptieren. Dankbar bin ich auch den vielen Freiwilligen, die regelmäßig zur Blutspende gehen. 12 Konserven wurden mir während der OP gegeben. Gerne würde ich selbst spenden. Es stört mich, dass ich anderen nicht auf die gleiche Art helfen kann, wie mir geholfen wurde.
Aber ich engagiere mich ehrenamtlich, ein Weg, um etwas zurückzugeben. Das Gefühl, etwas Gutes zu tun, fühlt sich richtig klasse an.